Eine Europäische Lesart des Seidenstraßen Begriffes
Dr. Mario Holzner (wiiw):
„Wie ließe sich das Kulturelle – der Silk Road Cultural Belt als ein Narrativ für Europa - mit dem wirtschaftlichen Thema einer Europäischen Seidenstraße verbinden ?"
Jan Moritz Onken (Callias Foundation):
"Genau mit dieser Frage habe ich mich als Dirigent immer wieder beschäftigt – sei es bei meinem Studium am St. Petersburger Konservatorium, wo ich einerseits die Möglichkeit hatte, mir als Musiker und Künstler Handwerk und Wissen anzueignen und andererseits lernen musste, dass ich mich als Mensch in ein politisches System begebe, in dem ich in vielerlei Hinsicht nur eine einzige Möglichkeit hatte: Meine eigene Wahrheit zu entwickeln, auch weil ich bei bestimmten Themen bei aller menschlichen Verbundenheit keine Kompatibilität feststellen konnte.
Dieses Denken in Dichotomien, oft basierend auf ‚Schwarz-Weiß‘-Philosophie und ‚Freund/Feind‘-Denken, hat es auch lange zwischen der Kultur und der Wirtschaft gegeben, oft nicht mehr als eine Hass-Liebe, wie man auch das Innenverhältnis zwischen Ost und West, zwischen dem kommunistischen Block auf der einen und dem kapitalistischen Block auf der anderen Seite charakterisieren könnte.
Dass diese Form von negativem Direktvergleich nicht zu einem konstruktiveren Umgang mit Unterschieden, ganz egal welcher Natur, geführt hat, zeigt sich auf allen Ebenen und in so gut wie allen Sektoren, sowohl der Wirtschaft als auch der Kultur.
Dass diese Welt um ein Vielfaches komplexer ist, als es sich die gesamte moderne Wissenschaft vorstellen kann, gilt inzwischen als Axiom.
Auf dieser Grundlage habe ich immer die Verbindung zu positiven und eigenständigen Ideen von ‚Vorwärts‘ und ‚Weiter‘, nicht nur in der Welt der Musik, sondern in allen Teilen des Lebens, in denen Definitionen von ‚Vorwärts‘ und ‚Weiter‘ vorgestellt werden, gesucht.
Meiner Ansicht nach sollte auch bei wirtschaftlichen und infrastrukturellen Plänen und deren buchstäblicher Umsetzung auf eine ethische Kompatibilität geachtet werden. Die Kultur kann ihre Rolle, Intensität in einen solchen Plan zu bringen, dann wahrnehmen, wenn die Suche nach ethischer Kompatibilität mit einfließt.
Während meiner Studien in St. Petersburg, Wien, New York und London und im Grunde jeden Tag in meiner Arbeit als Dirigent, v.a. auch in Ländern entlang der Seidenstraße, konnte ich lernen, dass diese Ideen jeweils eine Objektivierung und Materialisierung brauchen.
Dies habe ich immer wieder vor allem im Hinblick auf die Buchstäblichkeit ganz bestimmter Notwendigkeiten als Voraussetzung für eine inspirierende Form von Ausdruck und Entfaltung bestimmter Ideen erfahren.
Wie unterschiedlich in den verschiedenen Zonen entlang der Seidenstraße und im erweiterten Europa die jeweiligen weltanschaulichen Hintergründe sowohl in der Musik, als auch in der Wirtschaft, die Idee von ‚Anderer Materie‘ beeinflusst und wie wichtig es ist, respektvoll und gleichzeitig offen für die Unterschiede, mit bestimmten Inkompatibilitäten umzugehen, hat großen Einfluss auf die Entwicklung des Silk Road Cultural Belt gehabt.
Die Idee der Europäischen Seidenstraße, so wie sie als erstes von Dionys Lehner vorgestellt und dann von Dr. Mario Holzner, Philipp Heimberger und Artem Kochnev in einen Forschungsbericht übertragen wurde, entspricht in diesem Sinne dieser Idee von einer Verbindung zwischen Wirtschaft und Kultur auf der Basis von gegenseitiger Unterstützung aller bestehenden Qualitäten und Bedingungen.
Auch die an bestimmter Stelle notwendige Abgrenzung der jeweiligen Gegenstandsfelder im Sinne von „Jede Definition ist eine Begrenzung“ (Spinoza) verstärkt meines Erachtens die europäische Vision und ist offen, sich von den besten Qualitäten der vielen neuen Seidenstraßen inspirieren zu lassen, ohne das Eigene zu verlieren.
Das Überwinden von Distanzen mit verschiedenen Mitteln sollte immer wieder ein Grundmotiv sein und der ‚feine Unterschied‘, den die Realisierung dieser Idee sicher machen wird, kann viele Distanzen überwinden – auch zwischen ehemals verfeindeten Lagern – und der eigentliche Unterschied einer Europäischen Seidenstraße sollte doch sein, diesen feinen Unterschied mit den Menschen in Europa und entlang der Seidenstraße gemeinsam zu definieren. Und dies inklusiv, partizipativ und demokratischen Grundprinzipien der Rechtstaatlichkeit verpflichtet. Konzerte und verschiedene Dialogformate können zur erfolgreichen Entfaltung dieser Idee beitragen."
CALLIAS FOUNDATION